Akupunktur - Die Medizin für Körper und Seele
Bad Nauheim, weltbekannter Kurort, ist nicht nur Zentrum der Erforschung von Einflüssen kohlesäurehältiger
Solebäder auf das Herz-Kreislaufsystem, sondern auch für einige Tage im Jahr Zentrum der akupunkturinteressierten
Ärzte/Ärztinnen des In- und Auslandes. Seit über zwei Jahrzehnten ist Bad Nauheim Veranstaltungsort eines
Kongresses der Deutschen Ärztegesellschaft für Akupunktur e.V. (DÄGfA), heuer sprengte diese Tradition
ihre Grenzen. Mehrere Akupunkturgesellschaften, die in einem Dachverband schon jahrelang zusammen arbeiten
und fünf Universitätsabteilungen gestalteten in Kooperation und unter Organisation der DÄGfA den
Deutschen
Akupunktur Kongress 2007. Und so konnte man vom 17.-19. Mai 2007 aus 100 Vorträgen, Workshops, Diskussionsrunden
und Übungen die interessantesten Themen zum gesamten Spektrum der Akupunktur wählen.
Schon bei der
Eröffnung beschritten die Veranstalter neue Wege: nicht lange Grußworte, sondern
die 7 Kongresspräsidenten präsentierten unter der Moderation von D. Irnich/München ihre Visionen
für die weitere Entwicklung der Akupunktur nach Abschluss der großen Modellvorhaben.
Im ersten Vortrag ging
Staatssekretär G. Krämer/Wiesbaden vom Hessischen Sozialministerium
auf die Bedeutung der Akupunktur in der Patientenversorgung ein und betonte, dass sich das Land Hessen
auch für Forschung und Wissenschaft im Bereich der Naturheilverfahren und komplementären Medizin einsetzt.
Er forderte zusätzliche große Wirksamkeitsstudien für weitere Anwendungsbereiche der Akupunktur, wie z.B.
Suchtkrankheiten und vegetative Störungen.
In einem vielbeachteten
Grundsatzvortrag wies der Medizinhistoriker P.U. Unschuld/Berlin auf die veränderte
Bedeutung der staatlichen Gesundheitspolitik hin: während seit 200 Jahren die Gesunderhaltung der Bürger eine
staatlich Aufgabe war, um gesunde Bürger, Soldaten und Arbeitskräfte für die Fortentwicklung von Wirtschaft,
Staat und Gesellschaft zu garantieren, ist in einem Zeitalter der Massenarbeitslosigkeit und Globalisierung
und der Entwicklung von der Wehrpflichtigenarmee zur Spezialistenarmee die Gesunderhaltung der Bevölkerung
kein vordringliches gesellschaftlich-politisches Ziel mehr. Daraus werde verständlich, dass Gesundheit
zunehmend als private Aufgabe betrachtet wird. Dementsprechend lasse sich auch die Bevölkerung nicht mehr
vorschreiben, welche Richtung von Medizin sie anzuwenden hat, sondern fordert die Vielfalt der Methoden ein.
Unschuld rief die Ärzte auf, sich das Gesetz des Handelns nicht aus der Hand nehmen zu lassen und brachte
unter Bezug auf das Kongressthema das Problem auf die griffige Formel:
„Die Seele kennt keine Fallpauschale“.
Jeder Kongresstag begann mit dem Spiel der Fünf Tiere, einer
Qigong Übungssequenz, bei der durch das Nachahmen
und Erfassen eines Tieres auch seine Qualitäten bewusst erfahren werden sollten, wie zum Beispiel die
Erdverbundenheit des Bären, die Furchtlosigkeit des Tigers oder die selbstbewusste majestätische Haltung
des Hirschen.
Schwierig zu beantworten und schwer zu entscheiden war die täglich gestellte Frage: „Welchen Raum soll
ich heut´ wählen?“ fanden doch in parallel bis zu
sieben Veranstaltungen statt. Und es konnte schon
geschehen, dass man im kleinsten Raum eng zusammenrücken musste, damit alle Interessierten Platz finden konnten.
Die
Parallelveranstaltungen befassten sich mit ganz verschiedenen Themen wie z.B. Qualitätssicherung,
Modellvorhaben Akupunktur samt Folgen, chinesischer Arzneitherapie, Akupunktur bei Kindern und viele andere.
In
Fallseminaren demonstrierten jeweils drei Experten ihren Behandlungsvorschlag zu einem Patienten.
Dadurch konnte die Zuhörer erfahren, wie unterschiedlich der Zugang zur Therapie sein kann. Wichtig sei,
die unterschiedlichen Techniken nicht miteinander zu vermischen. Zang Fu, Außen Innen, Therapieren über
Kardinalpunkte, der Einsatz von Luo Gefäßen oder von muskulotendinären Meridianen, um nur einige zu nennen,
haben ihren jeweiligen Stellenwert.
Durch die Zusammenarbeit mit mehreren Universitäten konnten den Zuhörern interessante Studien aus
klinischer
und Grundlagenforschung vorgestellt werde, was besonders großes Interesse fand. Dabei fanden besonders die
neuen Erkenntnisse von H. Langevin / Burlington VT (USA) zur
Bedeutung des Bindegewebes für den Akupunkturpunkt
und die Akupunkturwirkung besondere Beachtung, zumal Frau Langevin es versteht, ihre Ergebnisse bestens und
in leicht verständlichem Englisch zu präsentieren.
Aber auch weitere Vorträge aus dem Bereich der Forschung rechtfertigten das große Interesse: B. Brinkhaus/Berlin
zeigte, dass die Therapie der
allergischen Rhinitis mit Akupunktur zusätzlich zur konventionellen Therapie
zu einer Verbesserung der krankheitsspezifischen und der allgemeinen gesundheitsbezogenen Lebensqualität
führt und konnte die mit Zahlen einer multizentrischen, randomisierten Interventionsstudie an 5237 Patienten
belegen. Großes Publikumsinteresse fand auch eine Studie von A. Römer/Mannheim an 160 Patientinnen mit
Endometriose,
bei der gezeigt werden konnte, dass Akupunktur allein keine eindeutige Verbesserung dieser Erkrankung erbringt,
jedoch in Kombination mit chinesischen Arzneimitteln hier Dysmenorrhoebeschwerden, Zyklusanormalien und
Fertilität deutlich gebessert werden konnten.
Eine alte Methode entdeckte für den Kongress neu M. Schwickert/Essen:
Gua Sha, eine Art Reibemassage mit
kräftigen Hautreizen zeigte in einer klinischen Studie eindeutige Wirksamkeit bei HWS-Syndromen. Die
praktische Anwendung dieser Methode wurde auch gleich in einem Workshop am dritten Kongresstag
demonstriert und geübt.
L. Vogt / Frankfurt konnte in einer Studie an 85 Kindern und Jugendlichen mit
Asthma bronchiale den Rückgang
asthmaspezifischer Symptome unter einer 4-wöchigen Akupunktur nachweisen. Diese Arbeit fand nicht nur auf
Grund ihrer klinisch wichtigen Ergebnisse besondere Beachtung, sondern wurde auch im Rahmen der Verleihung
des Deutschen Akupunkturpreises als
bester Vortrag mit einem Förderpreis von 1.500,00 € prämiert!
Ein wichtiges Thema in vielen Vorträgen des Kongresses war die Frage nach den
spezifischen und unspezifischen
Wirkungen der Akupunktur. S. Joos/Heidelberg, legte dazu eine Studie vor, die hochinteressant mit
Tefeninterviews belegte, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Patienten und Ärzten ganz wesentlich
über den Erfolg einer Behandlungsmethode – in diesem Fall der Akupunktur – entscheidet. Weitere Vorträge
von F. Musial/ Essen, H.-G. Schaible/Jena und K. Streitberger/ Heidelberg beschäftigten sich mit der
Physiologie der Akupunkturwirkung und zeigten auf hohen wissenschaftlichen Niveau, dass es falsch ist,
Akupunktur als Placebo abzutun.
Neben den Vortragsveranstaltungen liefen parallel 90-minütige Workshops, mit Themen, die bisher
zu wenig Beachtung in der Akupunkturwelt gefunden haben, z.B. der hervorragende Workshop von
J. Filshie/London zur Akupunktur in der
Palliativmedizin, der neue praktische Wege in diesem immer
wichtiger werdenden Medizingebiet wies oder der Workshop von K. Linde/München, dem es tatsächlich
gelang, den Titel „Studien lesen in 5 Minuten“ wahr zu machen, in dem er den Zuhörern eine ganz einfache,
praktische Einführung gab, wie man mit komplizierten klinischen Studien umgeht und sich tatsächlich
innerhalb weniger Minuten ein Bild über Qualität und Ergebnisse einer Studie machen kann.
In Abschlussvorträgen zeigten S. Kirchhoff/Witten-Herdecke und J. Gleditsch/München, wie man mit den
verschiedenen
Systemen der Akupunktur praktisch umgeht.
Am dritten Tag konnten die Besucher aus 13
Experten - Workshops auswählen und so verschiednen Themen wie
die Blutegeltherapie, die differenzierte Pulsdiagnostik, die Elektroakupunktur nach Voll oder die Akupunktur
bei chronischen Rückenschmerzen und Gonarthroseschmerzen u.v.a lernen und zum Teil praktisch einüben.
Besonderes Interesse fanden auch die
Poster, die in ausführlichen Begehungen mit den Autoren besprochen
wurden. Besonders gewürdigt wurde die Arbeit von R. Flatz/München: "Veränderungen des elektrischen
Hautwiderstandes am Akupunkturpunkt Pericard 6 nach Oktoberfestbesuch" durch die Verleihung des Deutschen
Akupunkturpreises in der Kategorie „bestes Poster“.
Der Kongress endete mit der
Verleihung des Deutschen Akupunkturpreises in der Hauptkategorie beste
Forschungsarbeit an A. Schneider/Heidelberg und seine Arbeitsgruppe für die Arbeit:
„Bedeutung der subjektiven Körperwahrnehmung bei der Akupunkturtherapie des Reizdarmsyndroms“
sowie der bereits erwähnten Preise für die beste Präsentation und das beste Poster durch die
Vorsitzende der DÄGfA, Frau Dr. W. Marić-Oehler/Bad Homburg und die Mitglieder der Jury,
Prof. Dr. Dr. W. Banzer / Frankfurt , Prim. Dr. H. Nissel/ Wien und Dr. R. Pothmann/ Hamburg.
Einen
ausführlichen Bericht über den gesamten Kongress werden Sie in der Deutschen Zeitschrift für Akupunktur
(DZA), Ausgabe September 2007, finden.
Fazit: Ein längst überfälliger Kongress, der die ganze Breite, Kraft, Vielfalt und hohe Qualität von Klinik
und Forschung der Akupunktur und ihrer verwandten Fächer im deutschen Sprachraum zeigte.
Bildergalerie
Download: Kongressbericht von Michael Wullinger

Ein Kurzfassung aller Referate finden Sie im Kongressband „Akupunktur – Die Medizin für Körper und Seele“,
herausgegeben von Wolfram Stör, Dominik Irnich und Winfried Banzer, München 2007, zu beziehen über
www.elsevier.com, ISBN: 978-3-437-55021-8, Preis: 24,95 €
Download: Umschlagseite des Kongressbandes
Download: Inhaltsverzeichnis des Kongressbandes